von Ralph Heidenreich , 88400 Biberach , Germany
Gentechnik bei Thomae
WILD 1995
Ausgehend von einer Akteneinsicht bei der Gentechnikaufsicht im Regierungspräsidium Tübingen versuchten wir 1995, den damaligen Stand der Gentechnik bei Thomae zu dokumentieren. Zuerst erschienen in WILD.
Neben der Computertechnik, der Weltraumfahrt und der Atomenergie gilt die
Gentechnik als wichtige "Zukunftstechnologie", von deren weiterem Ausbau nach
Meinung von Politik und Industrie unser wirtschaftliches Wohlergehen im
nächsten Jahrtausend abhängig ist. Auf der anderen Seite galt die Gentechnik von
Anfang an als ausgesprochen risikoreich, weil gentechnisch veränderte
Organismen eventuell aus dem Labor entkommen, und in der Umwelt Schaden
anrichten könnten. Gentechnische Anlagen sind deshalb in die Sicherheitstufen 1
("kein Risiko"), 2 ("geringes"), 3 ("mäßiges") und 4 ("hohes Risiko") eingeteilt und
müssen beim Regierungspräsidium angemeldet werden. In Baden-Württemberg
werden die Genehmigungen ab Sicherheitstufe 2 im Staatsanzeiger in der Rubrik
"öffentliche Bekanntmachungen " veröffentlicht. Noch werden mehr als drei
Viertel aller gentechnischen Anlagen von universitären Einrichtungen betrieben.
Mitte der 80er Jahre begannen einige Betriebe der Pharmazeutischen Industrie,
sich in der Gentechnik zu engagieren, wobei sich im Kreis Biberach ein gewisses
Zentrum bildete. Neben der Firma Thomae, einer Tochter des Konzerns
Boehringer-Ingelheim, zählt dazu vor allem Rentschler in Laupheim mit einer
Stufe 3 Anlage.
Thomae nahm 1986 das “Biotechnikum” in Betrieb, wo mittels gentechnisch
veränderter "Zellkulturen" der Blutgerinnsel-auflösende Wirkstoff tPA hergestellt
wird. TPA ist Hauptbestandteil des Medikaments Actilyse, das gegen den
Herzinfarkt eingesetzt wird. Die Firma gab damals eine Hochglanz-Broschüre
heraus, in der der Einstieg in die “Biotechnik”, wie die Arbeit mit gentechnisch
veränderten Organismen bei Thomae genannt wird, gefeiert wurde. Seitdem
werden dort zwar ständig neue gentechnische Anlagen, zum Beispiel für die
Herstellung von Interferon gebaut, auf begleitende Öffentlichkeitsarbeit wurde
aber weitgehend verzichtet.
1992 beschloß die Konzernleitung, die chemische Produktion von Biberach nach
Ingelheim und Spanien zu verlagern. 1993 und 1994 wurden insgesamt 224 der
rund 3000 Arbeitsplätze abgebaut. Im Dezember 93 schließlich gab das
Management bekannt, daß man auch die pharmazeutische Fertigung von Biberach
nach Reims und Ingelheim verlagern will, was weitere 500 bis 1000 Arbeitsplätze
kosten wird. Im Gegenzug werde man über 40 Millionen DM in die
"Biotechnologie" am Standort Biberach investieren.
Um herauszufinden, was Thomae seit 1986 mit Gentechnik gemacht hat,
schrieben wir einen Brief an die Gentechnik-Aufsicht im Regierungspräsidium
Tübingen mit der Bitte um eine Liste der gentechnischen Anlagen bei der Firma
Thomae. Außerdem vereinbarten wir mit der Abteilung Öffentlichkeits-arbeit bei
Thomae ein Interview zum Thema Gentechnik. Beiden Briefen haben wir öfter
mal hinterhertelefoniert, um einer möglichen Schubladisierung vorzubeugen.
Das Regierungspräsidium schickte letzten Herbst eine Liste von 14 Anlagen der
Sicherheitstufen eins und zwei. Die Anlagen wurden im Zeitraum von 1988 bis
1993 genehmigt, und sind von recht unterschiedlicher Größe, vom einzelnen
Raum bis hin zu sechs Etagen in zwei Gebäuden. Im Januar 95 wurde mit der Akte
AZ 76-4/8829.02/Thomae 01.17 eine weitere Anlage der Stufe zwei genehmigt.
Für eine Akteneinsicht im Tübingen wählten wir die Akte 9, ein Stufe 2
Viruslabor aus dem Jahr 1993. Die Akte besteht praktisch aus dem von der Firma
Thomae an das Regierungspräsidium Tübingen gestellten und dort genehmigten
Antrag. Das Regierungspräsidium hatte die Kopie, die wir zu Gesicht bekamen,
zuvor Thomae zugeschickt, wo man “Betriebsgeheimnisse” geschwärzt hat.
Teilweise waren die Schwärzungen vom Regierungspräsidium aufgehoben, so
zum Beispiel die Größe des Labors (15 m2). Dazu gab es eine ebensolche Akte
über eine gentechnische Arbeit zur Immuntherapie bei Krebs. Dem Patienten
werden dabei zunächst Krebszellen entnommen und mit einem
“Gentranferkomplex” so verändert, daß sie Interleukin herstellen. Danach werden
sie dem Patienten wieder “appliziert”. Das von ihnen produzierte Interleukin soll
dann Zellen des Immunsystems anlocken und für die Krebsbekämpfung aktivieren.
Diese erste Akteneinsicht war kostenlos, in Zukunft sollen aber 120 bis 130 DM
Akteneinsichtsgebühr pro Stunde verlangt werden. Zur Begründung der Gebühr
hieß es, wir beanspruchten immerhin eine Fachkraft, die uns die Akte vorlegt, und
die koste eben 120 Mark je Arbeitsstunde. Den vergleichsweise billigen Kopierer
zu benutzen, wurde freilich nicht gestattet. Außerdem erwartet man in Zukuft
präzise Fragen, anhand derer dann gemäß § 9 Umweltinformationsgesetz eine
Akteneinsicht gestattet werden könne.
Im November führten wir dann mit den Professoren Werner und Werz, Doktor
Bücheler und dem Leiter der Öffentlichkeitsarbeit bei Thomae Herrn Engelberg,
ein zweistündiges Gespräch. Die Benutzung eines Diktiergerätes zur
Aufzeichnung des Gesprächs wurde uns leider nicht gestattet. Man zeigte sich der
Presse gegenüber zunächst sehr reserviert, und verwies auf frühere Interviews, wo
man gezielt mißverstanden und irreführend zitiert worden sei. Die öffentliche
Kontrolle über die gentechnischen Anlagen werde vom Regierungspräsidium
wahrgenommen: "Ihre Fragen haben wir alle schon mit den Wissenschaftlern vom
Regierungspräsidium diskutiert, die mehrmals im Jahr hier vorbeikommen."
Der Leiter der Biotechnik, Professor Werner, bestritt ausdrücklich, daß in den
Stufen eins und zwei irgendwelche gentechnischen Risiken bestünden. Man
arbeite in der Gentechnik besonders sorgfältig, weil die Kulturen der gentechnisch
veränderten Organismen äußerst empfindlich sind, und auf keinen Fall mit
"wilden" Mikroorganismen verunreinigt werden dürfen. Durch die
Genmanipulation und wegen des Energieaufwandes für die Herstellung eines für
die Bakterien selbst völlig sinnlosen Stoffes seien die gentechnisch veränderten
Organismen so geschwächt, daß sie der Konkurrenz der Wildformen nicht
standhalten können. Im übrigen gebe es keine Alternative: "Innovative Präparate
gibt es momentan nur aus der Gentechnologie," so Professor Werner.Freilich
bleibe das normale Medikamentenrisiko, so etwa Nebenwirkungen oder
Unverträglichkeiten, auch bei gentechnisch hergestellten Arzneimitteln bestehen,
fügte er hinzu. Die "besonderen Vorteile" gentechnisch hergestellter Medikamente
hatte uns Thomae schriftlich so geschildert:
"Handelt es sich um biotechnisch hergestellte Arzneimittel, die auch tra-
ditionell auf anderem Wege gefertigt werden können (z.B. Faktor VIII aus
Blutkonserven, humanes Wachstumshormon aus der Hypophyse von Leichen oder
Insulin aus Rind und Schwein), so weisen die Arzneimittel auf gentechnischer
Basis eine Höhere Arzneimittelsicherheit auf, da eventuelle Krankheitserreger
(z.B. für Hepatitis, HIV, Jacob-Creutzfeld-Erkrankung, etc.) durch den
Fertigungsprozeß ausgeschlossen sind.In vielen Fällen sind die erhofften
Substanzen aber nur über die gentechnische Produktion zu erhalten. Sie kommen
im menschlichen Körper nur in geringen Mengen vor (t-PA, Interferone, etc.) und
sind von so komplexer Natur (hohes Molekulargewicht), daß sie auf chemischem
Wege nicht synthetisiert werden könnten."
Diese Argumentation bezieht sich ausschließlich auf gentechnisch hergestellte
Medikamente, wobei anzumerken bleibt, daß auch dort die proteinchemische
Reinigung der Wirkstoffe nicht immer gelingt. Pech hatten zum Beispiel die
Konsumenten des von einem japanischen Konzerns hergestellten Wirkstoffes L-
Tryptophan. Nach der Umstellung auf gentechnische Produktion waren über
tausend von ihnen erkrankt und Dutzende an Symptomen gestorben, die auf
unvollständige Reinigung des Wirkstoffes zurückgeführt wurden. Thomae,so
Professor Werner, erhalte durch die Verwendung von zehn unterschiedlichen
Reinigungsstufen den Wirkstoff in 99,9prozentiger Reinheit, der Rest sei ein
Gemisch von unterschiedlichen Verunreinigungen. "Risiken bestehen in unserem
Falle nicht”,hatte uns Thomae auch schon schriftlich versichert.
Bei der "Immuntherapie", die uns Professor Werz erläuterte, wird der Patient
nicht mit Wirkstoffen, sondern mit gentechnisch veränderten Krebszellen geimpft.
Diese durch Bestrahlung teilungsunfähig gemachten Zellen entstammen dem
Patienten selbst. Man wolle erreichen, daß das Immunsystem des Patienten im
Blutstrom schwimmende Krebszellen erkenne und vernichte, bevor sie Metastasen
bilden können. Der für die eigentliche gentechnische Operation verwendete
Gentransferkomplex besteht aus einem Virus, dessen eigenes Erbmaterial
chemisch zerstört wird, und auf dessen Oberfläche das Interleukin-Gen huckepack
in die Zelle eingeschleust wird. Die Viren würden so vor der Verwendung absolut
vermehrungsunfähig gemacht. Dies sei ein wesentlicher Vorteil gegenüber
anderen Methoden der Gentherapie, die den Gentransfer mit Retroviren
durchführen.
Von einer am Krankenbett praktikablen Behandlungsform ist die Gentherapie
jedoch noch weit entfernt. Zum einen ist das angewandte Verfahren sehr
kompliziert. Zum anderen sind die ersten Erfahrungen nicht sehr ermutigend und
rechtfertigen kaum die hohen Erwartungen an eine Zukunftstechnologie. So
schrieb das renommierte Fachblatt “Bio-Engineereing” in Heft 3/1994:
“Eine Immuntherapie gegen Krebs hat bislang nur bei wenigen Patienten Erfolg.
Sie half, einer ersten Studie zufolge, nur sieben Prozent der Kranken. Drei der
insgesamt 283 Teilnehmer starben an den Nebenwirkungen." Die Untersuchung
bezog sich auf die Immuntherapie bei schwarzem Hautkrebs und Nierenkrebs.
Vorerst bleibt die Frage ungeklärt, ob man auf diesem Weg überhaupt zum Erfolg
kommt. Im übrigen sind gentechnisch hergestellte Medikamente verhältnismäßig
teuer, und es ist noch lange nicht sicher, daß sie einen Anteil am Pharmamarkt
erobern, welcher die enormen Investitionen rechtfertigt.
Thomae hat sich seit Jahren auf die sogenannte "rote" Gentechnik spezialisiert,
man produziert dort mit in Säugetierzellen, anstelle von Bakterien oder Hefen.
Um Säugetierzellen in "Kultur" zu halten, werden sie mit Krebszellen
verschmolzen. Von daher scheint es nur ein kleiner Schritt zur direkten
Verwendung von genmanipulierten Krebszellen als Heilmittel. Dabei überschreitet
die Gentechnik jedoch eine weitere Grenze: es werden nicht mehr nur die
Produkte von manipulierten Organismen verbreitet, sondern die Therapie selbst ist
eine Freisetzung von genmanipulierten Zellen. Außerdem kann diese
Verfahrensweise als weiterer Schritt auf dem Weg zum genetisch konstruierten
Menschen angesehen werden: Dem Patienten wird ein funktionierendes Gen
implantiert. Im übrigen greift die von Thomae vorgebrachte Argumentation zur
Verteidigung der Gentechnologie hier nicht:
Bei der "Immuntherapie" werden nicht hochkomplizierte, nur gentechnisch
herstellbare Stoffe dem Patienten zugeführt, sondern die gesamten
Stoffwechselprodukte von genmanipulierten und zudem noch bestrahlten
Krebszellen. Mir bleiben da erhebliche Zweifel an der Vorhersehbarkeit der
Wirkungen einer solchen Verfahrens, und logischerweise auch an der Möglichkeit,
dabei angemessene Sicherheitsmaßnahmen einzuhalten.Daneben bleibt trotz aller
Sicherheitsmaßnahmen das Risiko, daß bei gentechnischen Experimenten
ungewollt neue schädliche oder gar krankheitserregende Lebewesen erschaffen
werden. Auch unter den bei Thomae Beschäftigten haben sich schon leise Zweifel
breitgemacht. Während die "klassische" tPA- Produktion als gut beherrschte
Routine angesehen wird, gibt mach einer hinter vorgehaltener Hand zu verstehen,
daß ihm "das Neue mit den Viren" nicht ganz geheuer ist.-heidi-